§ 6 Schutzwürdigkeit von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern

(1) Der Schutz für die Hinweisgebung nach diesem Bundesgesetz umfasst Hinweise an interne und externe Stellen. Hinweise an Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Europäischen Union gelten hinsichtlich dieses Schutzes als Hinweise an externe Stellen. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber sind zur Inanspruchnahme der Verfahren und des Schutzes für die Hinweisgebung ab der Abgabe des Hinweises an eine interne oder externe Stelle berechtigt, wenn sie zum Zeitpunkt des Hinweises auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände und der ihnen verfügbaren Informationen hinreichende Gründe dafür annehmen können, dass die von ihnen gegebenen Hinweise wahr sind und in den Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes fallen.

(2) Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber, die zum Zweck eines nach Abs. 1 berechtigten Hinweises eine klassifizierte Information weitergeben oder auswerten, sind zur Inanspruchnahme der Verfahren und des Schutzes nach diesem Bundesgesetz berechtigt, wenn

           1. der Hinweis ohne die Weitergabe oder Auswertung der klassifizierten Information nicht zielführend weiterverfolgt werden könnte,

           2. die Weitergabe unter Einhaltung der Standards zum Schutz klassifizierter Informationen, insbesondere des § 7 der Informationssicherheitsverordnung, BGBl. II Nr. 548/2003 in der Fassung des BGBl II Nr. 268/2022, erfolgt und

           3. die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber davon ausgehen konnte, dass die den Hinweis entgegennehmende interne oder externe Stelle zur Einhaltung der Standards zum Schutz klassifizierter Informationen qualifiziert ist, insbesondere bei Weitergabe an eine interne Stelle im Sinne des § 12 oder an eine externe Stelle.

(3) Anonyme Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber haben Anspruch auf Schutz nach den Bestimmungen des 4. Hauptstücks, wenn als Folge ihres anonym gegebenen Hinweises ihre Identität ohne ihr Zutun anderen bekannt wird und die Hinweisgebung Abs. 1 entspricht.

(4) Hinweise, die offenkundig falsch gegeben werden, sind von den Stellen, die sie erhalten, jederzeit mit der Nachricht an die Hinweisgeberin oder den Hinweisgeber zurückzuweisen, dass derartige Hinweise Schadenersatzansprüche begründen und gegebenenfalls gerichtlich oder als Verwaltungsübertretungen (§ 24 Z 4) verfolgt werden können.

Erläuterungen des Ministrialentwurfs

Zu § 6 HSchG:

Im Entwurf sind in § 6 die Voraussetzungen dafür geregelt, dass eine Hinweisgeberin oder ein Hinweisgeber sich auf die institutionellen Vorkehrungen und den spezifischen Rechtsschutz nach dem HSchG berufen können.

Abs. 1 enthält dazu einen Rahmen objektiver und subjektiver Sachverhaltsmerkmale. Mit der aus Art. 6 Abs. 1 lit. a), Art. 15 Abs. 1 lit. b) und Art. 21 Abs. 7 der Richtlinie entnommenen Wortfolge „auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände und der ihnen verfügbaren Informationen hinreichende Gründe dafür annehmen können“ besteht der Rahmen der Schutzwürdigkeit von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern aus folgenden Elementen, die sämtlich vorhanden sein müssen:

–       Der Hinweisgeberin oder dem Hinweisgeber liegt eine Information vor, die nach allgemeiner Erfahrung Richtigkeit für sich beanspruchen kann.

–       Die Information stellt einen Sachverhalt fest, der als solcher, wenn er tatsächlich vorliegt, nach allgemeiner Erfahrung und mit durchschnittlichem Allgemeinwissen, das juristische Kenntnisse nicht notwendig einschließt, den Verdacht einer Rechtsverletzung nahelegt.

–       Die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber ist subjektiv von der Richtigkeit der Information und der Verwirklichung des Sachverhalts überzeugt.

–       Die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber kann bei ungefährer Kenntnis der Vorschriften des HSchG annehmen, dass sie oder er zu den Personen gehört, die in den persönlichen Geltungsbereich des § 2 Abs. 1 und 2 fallen und dass die vermutete Rechtsverletzung in einen der Rechtsbereiche des § 3 Abs. 3 HSchG fällt.

Nach § 6 Abs. 1 ist daher der Maßstab an die Sorgfalt, die eine Hinweisgeberin oder ein Hinweisgeber anzuwenden hat, um den Schutz des HSchG in Anspruch nehmen zu können, sowohl an die Annahme von Tatsachen als auch an die Prüfung anzulegen, ob der Hinweis unter das HSchG fällt. Bei der letztgenannten rechtlichen Einschätzung ist vom Wissenshorizont eines nicht rechtskundigen Menschen auszugehen, der sich mit den Grundzügen des Gesetzes auseinandergesetzt hat. Gelangt eine Hinweisgeberin oder ein Hinweisgeber aufgrund der nach § 10 zu erstellenden Informationen nachvollziehbar – wenn auch unzutreffend – zum Schluss, dass für einen ein Hinweis das HSchG anwendbar ist, ist die Sorgfalt bei der Einschätzung der Anwendbarkeit des HSchG gewahrt.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber einen Anspruch auf Befassung der internen und der externen Stellen nach dem zweiten und dritten Hauptstück und ab dem Zeitpunkt der Abgabe des Hinweises einen Anspruch auf den spezifischen Rechtsschutz nach dem vierten Hauptstück des HSchG.

Dass ein Hinweis unter diesen Voraussetzungen einer nicht zuständigen Stelle gegeben wurde oder dass sich ein unter diesen Voraussetzungen gegebener Hinweis nach der Überprüfung durch eine interne oder externe Stelle als unrichtig oder nicht dem HSchG unterliegend erweist, kann diese Ansprüche der Hinweisgeberin oder des Hinweisgebers nicht beseitigen.

Abs. 3 normiert entsprechend Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie, dass der einer internen oder externen Stelle gegebene anonyme Hinweis, der aufgrund seiner Weiterleitung die Identität der Hinweisgeberin oder des Hinweisgebers bekannt machte, die Ansprüche einer Hinweisgeberin oder eines Hinweisgebers nach dem HSchG begründet. Dies gilt selbst dann, wenn eine anonyme Hinweisgebung bei der internen Stelle nicht vorgesehen ist.

Der Entwurf bezweckt nicht nur den Hinweisgeberschutz bei Abgabe stichhaltiger Hinweise, sondern auch die Hintanhaltung von Hinweisen, die nicht auf Tatsachen beruhen oder die trotz Kenntnis ihrer Unrichtigkeit gegeben werden. Abs. 4 sieht daher ein Instrument der unmittelbaren Zurückweisung offenkundig unberechtigter Hinweise vor, auf die auch die Bestimmungen der §§ 12 Abs. 6 und 17 Abs. 4 über das Verfahren bei den internen und externen Stellen verweisen.