Artikel 9 Verfahren für interne Meldungen und Folgemaßnahmen

(1) Die Verfahren für interne Meldungen und Folgemaßnahmen gemäß Artikel 8 schließen Folgendes ein:

a) Meldekanäle, die so sicher konzipiert, eingerichtet und betrieben werden, dass die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, gewahrt bleibt und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff darauf verwehrt wird;
b) eine innerhalb einer Frist von sieben Tagen nach Eingang der Meldung an den Hinweisgeber zu richtende Bestätigung dieses Eingangs;
c) die Benennung einer unparteiischen Person oder Abteilung, die für die Folgemaßnahmen zu den Meldungen zuständig ist, wobei es sich um dieselbe Person oder Abteilung handeln kann, die die Meldungen entgegennimmt und die mit dem Hinweisgeber in Kontakt bleibt, diesen erforderlichenfalls um weitere Informationen ersucht und ihm Rückmeldung gibt;
d) ordnungsgemäße Folgemaßnahmen der benannten Person oder Abteilung nach Buchstabe c;
e) ordnungsgemäße Folgemaßnahmen in Bezug auf anonyme Meldungen, sofern durch das nationale Recht vorgesehen;
f) einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die Rückmeldung an den Hinweisgeber, und zwar von maximal drei Monaten ab der Bestätigung des Eingangs der Meldung bzw. — wenn der Eingang dem Hinweisgeber nicht bestätigt wurde — drei Monate nach Ablauf der Frist von sieben Tagen nach Eingang der Meldung;
g) die Erteilung klarer und leicht zugänglicher Informationen über die Verfahren für externe Meldungen an die zuständigen Behörden nach Artikel 10 und gegebenenfalls an Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union.

(2) Die Meldekanäle gemäß Absatz 1 Buchstabe a müssen die Meldung in schriftlicher oder mündlicher bzw. in beiden Formen ermöglichen. Mündliche Meldungen müssen per Telefon oder mittels einer anderen Art der Sprachübermittlung sowie — auf Ersuchen des Hinweisgebers — im Wege einer physischen Zusammenkunft innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens möglich sein.

Artikel 8 Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass juristische Personen des privaten und öffentlichen Sektors Kanäle und Verfahren für interne Meldungen und für Folgemaßnahmen einrichten; sofern nach nationalem Recht vorgesehen, nach Rücksprache und im Einvernehmen mit den Sozialpartnern.

(2) Die Kanäle und Verfahren gemäß Absatz 1 dieses Artikels müssen den Arbeitnehmern der juristischen Person die Meldung von Informationen über Verstöße ermöglichen. Sie können auch den in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben b, c und d und Artikel 4 Absatz 2 genannten anderen Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten mit der juristischen Person im Kontakt stehen, die Meldung von Informationen über Verstöße ermöglichen.

(3) Absatz 1 gilt für juristische Personen des privaten Sektors mit 50 oder mehr Arbeitnehmern.

(4) Der in Absatz 3 festgelegte Schwellenwert gilt nicht für juristische Personen, die unter die im Anhang in den Teilen I.B und II genannten Unionsrechtsakte fallen.

(5) Meldekanäle können intern von einer hierfür benannten Person oder Abteilung betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden. Die in Artikel 9 Absatz 1 genannten Garantien und Anforderungen gelten auch für Dritte, die damit beauftragt sind, den Meldekanal für eine juristische Person des privaten Sektors zu betreiben.

(6) Juristische Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Arbeitnehmern können für die Entgegennahme von Meldungen und für möglicherweise durchzuführende Untersuchungen Ressourcen teilen. Dies gilt unbeschadet der diesen juristischen Personen durch diese Richtlinie auferlegten Verpflichtung, Vertraulichkeit zu wahren, Rückmeldung zu geben und gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen.

(7) Nach einer geeigneten Risikobewertung, die der Art der Tätigkeiten der juristischen Personen und dem von ihnen ausgehenden Risiko — insbesondere für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit — Rechnung trägt, können die Mitgliedstaaten juristische Personen des privaten Sektors mit weniger als 50 Arbeitnehmern verpflichten, interne Meldekanäle und -verfahren gemäß Kapitel II einzurichten.

(8) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission jede gemäß Absatz 7 gefasste Entscheidung, juristische Personen des privaten Sektors zur Einrichtung interner Meldekanäle zu verpflichten, mit. Diese Mitteilung enthält eine Begründung der Entscheidung und die in der Risikobewertung nach Absatz 7 verwendeten Kriterien. Die Kommission setzt die anderen Mitgliedstaaten von dieser Entscheidung in Kenntnis.

(9) Absatz 1 gilt für alle juristischen Personen des öffentlichen Sektors, einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen.
Die Mitgliedstaaten können Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern oder weniger als 50 Arbeitnehmern oder sonstige juristische Personen im Sinne von Unterabsatz 1 dieses Absatzes mit weniger als 50 Arbeitnehmern von der Verpflichtung nach Absatz 1 ausnehmen.
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass interne Meldekanäle entsprechend dem nationalen Recht von Gemeinden gemeinsam oder von gemeinsamen Behördendiensten betrieben werden können, sofern die geteilten internen Meldekanäle von den einschlägigen externen Meldekanälen getrennt und gegenüber diesen autonom sind.

Artikel 7 Meldung über interne Meldekanäle

(1) Unbeschadet der Artikel 10 und 15 können Informationen über Verstöße grundsätzlich unter Nutzung der internen Meldekanäle und Verfahren nach Maßgabe dieses Kapitels gemeldet werden.

(2) Die Mitgliedstaaten setzen sich dafür ein, dass die Meldung über interne Meldekanäle gegenüber der Meldung über externe Meldekanäle in den Fällen bevorzugt wird, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und der Hinweisgeber keine Repressalien befürchtet.

(3) Im Rahmen der Unterrichtung vonseiten juristischer Personen des privaten und öffentlichen Sektors gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe g und vonseiten zuständiger Behörden gemäß Artikel 12 Absatz 4 Buchstabe a und Artikel 13 werden zweckdienliche Informationen über die Nutzung der internen Meldekanäle gemäß Absatz 2 bereitgestellt.

Artikel 6 Voraussetzungen für den Schutz von Hinweisgebern

(1)   Hinweisgeber haben Anspruch auf Schutz nach dieser Richtlinie, sofern

a) sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen, und
b) sie intern gemäß Artikel 7 oder extern gemäß Artikel 10 Meldung erstattet haben oder eine Offenlegung gemäß Artikel 15 vorgenommen haben.

(2) Unbeschadet der nach Unionsrecht bestehenden Verpflichtungen in Bezug auf anonyme Meldungen berührt diese Richtlinie nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob juristische Personen des privaten oder öffentlichen Sektors und zuständige Behörden zur Entgegennahme und Weiterverfolgung anonymer Meldungen von Verstößen verpflichtet sind.

(3) Personen, die Informationen über Verstöße anonym gemeldet oder offengelegt haben, anschließend jedoch identifiziert wurden und Repressalien erleiden, haben dennoch Anspruch auf Schutz gemäß Kapitel VI, sofern sie die Voraussetzungen gemäß Absatz 1 erfüllen.

(4) Personen, die den zuständigen Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße melden, haben unter den gleichen Bedingungen Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie wie Personen, die extern Meldung erstatten.

Artikel 5 Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

  1. „Verstöße“ Handlungen oder Unterlassungen, die
  2. „Informationen über Verstöße“ Informationen, einschließlich begründeter Verdachtsmomente, in Bezug auf tatsächliche oder potenzielle Verstöße, die in der Organisation, in der der Hinweisgeber tätig ist oder war, oder in einer anderen Organisation, mit der der Hinweisgeber aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht oder stand, bereits begangen wurden oder sehr wahrscheinlich erfolgen werden, sowie in Bezug auf Versuche der Verschleierung solcher Verstöße;
  3. „Meldung“ oder „melden“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße;
  4. „interne Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des privaten oder öffentlichen Sektors;
  5. „externe Meldung“ die mündliche oder schriftliche Mitteilung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden;
  6. „Offenlegung“ oder „offenlegen“ das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße;
  7. „Hinweisgeber“ eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt;
  8. „Mittler“ eine natürliche Person, die einen Hinweisgeber bei dem Meldeverfahren in einem beruflichen Kontext unterstützt und deren Unterstützung vertraulich sein sollte;
  9. „beruflicher Kontext“ laufende oder frühere Arbeitstätigkeiten im öffentlichen oder im privaten Sektor, durch die Personen unabhängig von der Art der Tätigkeiten Informationen über Verstöße erlangen und bei denen sich diese Personen Repressalien ausgesetzt sehen könnten, wenn sie diese Informationen melden würden;
  10. „betroffene Person“ eine natürliche oder eine juristische Person, die in der Meldung oder in der Offenlegung als eine Person bezeichnet wird, die den Verstoß begangen hat, oder mit der die bezeichnete Person verbunden ist;
  11. „Repressalien“ direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann;
  12. „Folgemaßnahmen“ vom Empfänger einer Meldung oder einer zuständigen Behörde ergriffene Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Behauptungen und gegebenenfalls zum Vorgehen gegen den gemeldeten Verstoß, unter anderem durch interne Nachforschungen, Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen, Maßnahmen zur (Wieder-)Einziehung von Mitteln oder Abschluss des Verfahrens;
  13. „Rückmeldung“ die Unterrichtung des Hinweisgebers über die geplanten oder bereits ergriffenen Folgemaßnahmen und die Gründe für diese Folgemaßnahmen;
  14. „zuständige Behörde“ die nationale Behörde, die benannt wurde, um Meldungen nach Kapitel III entgegenzunehmen und dem Hinweisgeber Rückmeldung zu geben und/oder als die Behörde benannt wurde, welche die in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben — insbesondere in Bezug auf etwaige Folgemaßnahmen — erfüllt.

Artikel 4 Persönlicher Anwendungsbereich

(1) Diese Richtlinie gilt für Hinweisgeber, die im privaten oder im öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben, und schließt mindestens folgende Personen ein:

a) Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 45 Absatz 1 AEUV, einschließlich Beamte;
b) Selbstständige im Sinne von Artikel 49 AEUV;
c) Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören, einschließlich der nicht geschäftsführenden Mitglieder, sowie Freiwillige und bezahlte oder unbezahlte Praktikanten;
d) Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten.

(2) Diese Richtlinie gilt auch für Hinweisgeber, die Informationen über Verstöße melden oder offenlegen, von denen sie im Rahmen eines inzwischen beendeten Arbeitsverhältnisses Kenntnis erlangt haben.

(3) Diese Richtlinie gilt auch für Hinweisgeber, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat und die während des Einstellungsverfahrens oder anderer vorvertraglicher Verhandlungen Informationen über Verstöße erlangt haben.

(4) Die Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern gemäß Kapitel VI gelten, soweit einschlägig, auch für

a) Mittler,
b) Dritte, die mit den Hinweisgebern in Verbindung stehen und in einem beruflichen Kontext Repressalien erleiden könnten, wie z. B. Kollegen oder Verwandte des Hinweisgebers, und
c) juristische Personen, die im Eigentum des Hinweisgebers stehen oder für die der Hinweisgeber arbeitet oder mit denen er in einem beruflichen Kontext anderweitig in Verbindung steht.

Artikel 3 Beziehung zu anderen Unionsrechtsakten und nationalen Bestimmungen

(1) Falls die in Teil II des Anhangs aufgeführten sektorspezifischen Rechtsakte der Union spezifische Regeln über die Meldung von Verstößen enthalten, gelten diese Regeln. Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten insoweit, als die betreffende Frage durch diese sektorspezifischen Rechtsakte der Union nicht verbindlich geregelt ist.

(2) Diese Richtlinie berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, oder ihre Befugnis zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen. Diese Richtlinie gilt insbesondere nicht für Meldungen von Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte betreffen, es sei denn, diese fallen unter das einschlägige Unionsrecht.

(3) Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung von Unionsrecht oder nationalem Recht in Bezug auf alle folgenden Punkte:

a) den Schutz von Verschlusssachen;
b) den Schutz der anwaltlichen und ärztlichen Verschwiegenheitspflichten;
c) das richterliche Beratungsgeheimnis;
d) das Strafprozessrecht.

(4) Diese Richtlinie berührt nicht die nationalen Vorschriften über die Wahrnehmung des Rechts von Arbeitnehmern, ihre Vertreter oder Gewerkschaften zu konsultieren, und über den Schutz vor ungerechtfertigten nachteiligen Maßnahmen aufgrund einer solchen Konsultation sowie über die Autonomie der Sozialpartner und deren Recht, Tarifverträge einzugehen. Dies gilt unbeschadet des durch diese Richtlinie garantierten Schutzniveaus.

Artikel 2 Sachlicher Anwendungsbereich

(1) Durch diese Richtlinie werden gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Personen festgelegt, die folgende Verstöße gegen das Unionsrecht melden:

a) Verstöße, die in den Anwendungsbereich der im Anhang aufgeführten Rechtsakte der Union fallen und folgende Bereiche betreffen:

i) öffentliches Auftragswesen,
ii) Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung,
iii) Produktsicherheit und -konformität,
iv) Verkehrssicherheit,
v) Umweltschutz,
vi) Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit,
vii) Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz,
viii) öffentliche Gesundheit,
ix) Verbraucherschutz,
x) Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netz- und Informationssystemen;

b) Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union im Sinne von Artikel 325 AEUV sowie gemäß den genaueren Definitionen in einschlägigen Unionsmaßnahmen;

c) Verstöße gegen die Binnenmarktvorschriften im Sinne von Artikel 26 Absatz 2 AEUV, einschließlich Verstöße gegen Unionsvorschriften über Wettbewerb und staatliche Beihilfen, sowie Verstöße gegen die Binnenmarktvorschriften in Bezug auf Handlungen, die die Körperschaftsteuer-Vorschriften verletzen oder in Bezug auf Vereinbarungen, die darauf abzielen, sich einen steuerlichen Vorteil zu verschaffen, der dem Ziel oder dem Zweck des geltenden Körperschaftsteuerrechts zuwiderläuft.

(2) Diese Richtlinie lässt die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, den Schutz nach nationalem Recht in Bezug auf Bereiche oder Rechtsakte auszudehnen, die nicht unter Absatz 1 fallen.